Die Finanzielle Repression geht in die nächste Runde

– Gastbeitrag von Dr. Hans-Jörg Naumer, Leiter Global Capital Markets & Thematic Research bei Allianz Global Investors –

Lange, lange ist es her, dass wir sie ausgerufen haben, die Finanzielle Repression. Jene Phase, in der die Gläu­biger durch ihre Bereitschaft, in niedrig oder negativ verzinsliche Staatsanleihen zu investieren, erheblich dazu beitragen, den Schuldenberg des Staates abzu­bauen.

 

Fiskus in komfortabler Situation

Die derzeitige Fiskal- und Geldpolitik der Staaten und ihrer Zentralbanken erinnert stark daran, dass mit der Corona-Pandemie die nächste Runde dieser Repressi­on eingeläutet wurde. Über 70 % des globalen Staats­anleihemarktes haben eine Rendite von einem Prozent und weniger. Knapp 30 % weisen eine negative Rendite aus.

Die auf den Staatsschulden lastenden durchschnitt­lichen Refinanzierungskosten sind seit der Finanz­marktkrise und der Euroschuldenkrise weiter gesunken und könnten fiskalisch kaum komfortabler sein. Der Schuldenberg trägt sich so über die Zeit von allein ab – zumindest, wenn sich die Schuldenquote im Rahmen hält und keine dauerhaften Fiskaldefizite aufgebaut werden. Der Refinanzierungszins muss nur unterhalb der Wachstumsrate liegen. Hinzu kommt: In vielen Staaten der Eurozone, aber auch in Großbritannien, können Teile der Altschulden durch die Neuaufnahme von Schulden getilgt werden. Was hierzulande noch ein relativ junges Phänomen ist, lässt sich in Japan schon sehr lange beobachten. Den Negativzinsen sei Dank.

Die Jagd nach Kapitaleinkommen geht also weiter. Und dies dürfte eine der Erklärungen dafür sein, warum sich die Kapitalmärkte in einer nie dagewesenen Schnel­ligkeit von dem Pandemie-bedingten Absturz im März erholt haben. Mit ihrem Versuch, die Finanzmärkte zu stabilisieren, haben die Zentralbanken nicht nur das Niedrig-/Negativzinsumfeld zementiert, sondern scheinbar einen weiteren „Zentralbank-Put“ ausge­sprochen. Von diesem erwarten die Anleger eine nach unten absichernde Wirkung. Gestützt wird die risi­kofreudige Grundeinstellung von den Konjunkturdaten der letzten Wochen und Monate. Diese indizieren in der Tat, dass wir die globale Rezession verlassen haben.

Wachstums-Skepsis angebracht

Skeptizismus gegenüber einem schnellen Zurück zum Vor-Pandemie-Wachstumspfad bleibt allerdings angebracht. Alternative und sehr schnell konjunkturre­agible Daten, etwa die Mobilitätsdaten von Google oder elektronische Reservierungen von Restauranttischen, zeigen ein nachlassendes Konjunkturmomentum. Während die Liquidität stützend wirken sollte, muss mit Volatilität infolge von Enttäuschungen seitens der Kon­junktur und des Pandemie-Verlaufs gerechnet werden. Die Bewertungen an den Aktienmärkten zeigen sich als sehr heterogen. Für die USA sind sie am höchsten und bieten keinen Puffer für mögliche negative Überra­schungen. Das Revisionsverhalten der Analysten hat sich verbessert. Zunehmend werden die Schätzungen für die Unternehmensgewinne der nächsten Quartale nach oben revidiert. Besonders günstig zeigt sich die Relation von nach oben gerichteten zu nach unten gerichteten Revisionen für die USA und die Schwellen­länder. Auch für die Unternehmen Europas hat sich das Bild deutlich verbessert.

Nachhallender Effekt niedrigerer Energiepreise

Die Renditen von Staatsanleihen dürften aufgrund des zementierten Negativ-/Niedrigzinsumfeldes und der Ankaufprogramme der Notenbanken bis auf Weiteres sehr negativ/niedrig bleiben. Vonseiten der Inflations­entwicklung scheint wenig Risiko für einen Renditean­stieg auszugehen. Trotz preissteigernder Effekte durch gestörte Lieferketten und eine extrem expansive Geld­politik dürften die disinflationären Auswirkungen der COVID-Krise und der nachhallende Effekt niedrigerer Energiepreise in den kommenden Monaten dominieren.

Ein Anstieg der Langfristrenditen zum Beispiel in Folge erhöhter Fiskalrisiken sollte eine noch stärkere Inter­vention der Zentralbanken zur Folge haben, die diesem Anstieg entgegenwirkt. Unternehmensanleihen dürften ebenfalls von der Nachfrage der Zentralbanken profitie­ren, auch wenn sie einem rezessiven Umfeld, steigen­den Ausfallraten und einem hohen Verschuldungsgrad ausgesetzt sind.

Nach Durchschreiten des tiefen Konjunkturtals im März/April 2020 konnte sich die Nachfrage nach Rohstoffen festigen. Ein abwertender US-Dollar stützt gewöhnlich Rohstoffpreise, da diese in US-Dollar ge­handelt werden und entsprechend höhere Dollarpreise erzielen sollten.